Erste Predigt – Ein neuer Anfang zum 3. Advent

Tröstet! Tröstet mein Volk!

Es gibt Veränderungen im Leben, die einen anderen Menschen aus uns machen. Oft meinen wir, dass materieller Wohlstand oder Erfolge in der Karriere erstrebenswerte Ziele sind. Doch diese „Boomer“-Ideen werden von der Zeit und der aktuellen Generation in Frage gestellt und zurecht kritisiert. Denn tatsächlich ändern diese Dinge nur den Blick der anderen auf uns. Nicht aber unseren Blick auf uns selbst. Diese Blickveränderung habe ich in den letzten vier Jahren stark gespürt.
Ein Unbehagen über die Veränderungen der beiden großen Kirchen hat mich vom Glauben entfernt, da ich Glaube und Kirche als Einheit sah. Am Hochpunkt dieser Frage stand ich vor der Entscheidung, aus der Kirche auszutreten oder Teil einer Veränderung werden zu wollen. Ich entschied mich dafür, verändern zu wollen und Verantwortung zu übernehmen. Klar! Flucht ist viel einfacher als Kampf. Doch ich machte die Erfahrung, dass ich bei diesem Kampf durchaus nicht allein bin.

Fast ein Jahr habe ich mich nun in der Ausbildung zum Lektor (der Vorstufe zum Prädikanten) mit den Inhalten und der Praxis des Glaubens -neu- beschäftigt. Die Erfahrungen und Erkenntnisse die damit verbunden waren haben mich tief beeindruckt und mein Menschen- und Glaubensbild stark positiv verändert. Dafür bin ich dankbar!

Wir befinden uns in einer Phase der Transformation. In einer sich sehr schnell verändernden Welt der Komplexität und Gleichzeitigkeit und aus einer demografischen Belastung ergeben sich neue Bedürfnisse der Menschen im privaten und öffentlichen Umfeld. Wir sind nicht mehr in der Lage, die Situation, die Qualität und die Quantität der Vergangenheit aufrecht zu erhalten. Es braucht Veränderungen. Damit gehen wachsende Spannungen und eine große Verantwortung für jeden Einzelnen – selbst für sich wirksam zu sein, ohne an den wachsenden Ansprüchen von außen zu scheitern – einher. Für diese Selbstwirksamkeit, verbunden mit einer notwendigen Resilienz, benötigt jeder und jede von uns einen inneren Kompass. Es braucht Orientierung!

Unser Wunsch nach Halt, Sicherheit und Orientierung findet vielfältige Antworten und Angebote. Mir gibt die Ausbildung und der Glaube Orientierung. Diese Orientierung und die Zusage von Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Gnade ist die frohe Botschaft, die uns hilft, mit den besonderen transformativen Herausforderungen unserer Zeit umgehen zu können. Davon gebe ich nun ein Stück weiter und zurück. Ich hoffe, dafür nicht nur in meinem Amt als Erster Bürgermeister und Kommunalpolitiker, sondern auch als Christ und Mensch anderen Menschen eine Orientierung und vielleicht auch ein Trost zu sein.

 

Predigt zum 3. Advent 2022

Vor gar nicht allzu langer Zeit war ein Junge mit seinem Fahrrad auf einem steinigen Weg unterwegs. Und wie es bei Jungen und Fahrrädern so ist, hat er eine Unebenheit im Boden übersehen und stürzte. Wirklich schlimm war es nicht, aber der Schock, die Schürfwunden und das Blut am Bein ließen die Tränen fließen. Eine Nachbarin, die den Sturz beobachtet hatte, kam heraus und überblickte schnell, dass es wohl gar nicht so schlimm war und dass der Schock und die Angst um das zerkratzte Fahrrad der größere Schmerz des Kindes war. Nachdem die Wunde gesäubert und ein Pflaster drauf geklebt war, nahm sie den Jungen in den Arm, streichelte ihm über den Kopf und sagte: Das wird alles wieder gut! Bis du groß und erwachsen bist, hast du das alles wieder vergessen. Jetzt steh auf und setz dich wieder auf dein Fahrrad.

Trost – mein Volk braucht Trost! , sagt der Predigttext. Unsere Welt braucht Trost. Wir brauchen Trost. Jeder einzelne von uns. Immer wieder.

Ich habe mal eine ganz direkte Frage an Sie. Wer von Ihnen ist hier in Landshut oder im Landkreis Landshut geboren und hat seine Kindheit hier verbracht? Heben Sie die Hand.

Und nun die Gegenfrage. Wer von Ihnen ist nicht in der Region geboren und groß geworden?

Wie war das damals, als es von der Heimat der Kindheit in eine andere Stadt oder sogar in ein anderes Land ging?

Äußerlich geht es den Menschen gut, oft sogar besser. Sie hatten ihr Leben, konnten arbeiten und Handel treiben. Und konnten sich oft beruflich und wirtschaftlich verbessern. Aber sie waren doch fremd und neu und menschlich entwurzelt. Es bestand die Gefahr, geistig aufgesogen zu werden von der fremden Umgebung.  Sie hatten Heimweh und Sehnsucht nach ihrem Land und pflegten und pflegen sicher manchen Brauch und manche Tradition aus der alten Heimat.  In einer Sehnsucht nach dem, „wie es früher war“.

Genau so ging es dem vertriebenen Volk in Judäa. Ein Psalm singt von dieser Zeit: An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Unsere Harfen hängten wir an die Weiden im Lande (Ps 137,1f).

Ein vertriebenes Volk in der Fremde. Die Menschen unter uns, die ebenfalls in die Fremde gingen, können das Klagen des Volkes Juda gut nachempfinden.

Da tritt in diesem mutlosen Volk ein Prophet auf. Der zweite Jesaja, der das Buch Jesaja fortschreibt und sagt: Bereitet dem Herrn den Weg! Da ist er, Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Und er wird weiden seine Herde wie ein Hirte!

Seine Worte haben es in sich. Worte, um neuen Mut zu wecken. Gott will nicht länger schweigen. Ich sehe euch freundlich an. Eure Knechtschaft hat ein Ende. Vergesst das, was gewesen ist. Eure Schuld ist euch vergeben. Die Zeit des qualvollen Wartens in der Fremde hat ein Ende. Eine neue Zeit beginnt, ein neues Leben. Zeit, aufzubrechen und neu anzufangen!

Gott erkennt das Leiden und möchte das Volk führen, zurück aus dem Exil in die Heimat. Doch er gibt seinem Volk auch eine Aufgabe. Bereitet eine ebene Bahn! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden. Eine schier unlösbare Aufgabe. Doch die Hoffnung und die Zuversicht auf den Weg in die Heimat bedürfen der Mitwirkung des  Volkes. Der Weg, den Gott sie führen wird, wird sie Arbeit kosten: Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden. Sie werden mittun müssen, während Gott sie herausführen wird aus ihrem Elend.

Gott braucht sie alle. Gott braucht ihre Mitarbeit bei seinem Werk. Und er verspricht: Ich geleite euch durch das Leben. So spielt beides ineinander: die gute Hoffnung, dass Gott kommt, und die Aufforderung, sich ans Werk zu machen, mitzutun, damit am Ende Gottes Herrlichkeit erscheinen kann (V.3-5). Doch der Prophet ist weiterhin resigniert. Er ist wie der Junge, der auf dem Boden sitzt und weint vor Schmerz, Frust und Traurigkeit. Der selbst den Ausweg aus seiner Situation nicht findet.

Der Prophet fragt: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und Gottes Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt. Alles in dieser Welt ist vergänglich.

So scheint es für das Volk Juda. Was sollen wir für eine Bahn bereiten? Es ist doch alles hoffnungslos hier in der Fremde. Die Stimme in der Wüste spricht dem Volk Juda, spricht uns allen Mut zu. Mut zum Vertrauen auf Gottes Wort, das ewiglich gilt. Das Wort der Zusage des Heils. Das Wort der guten Botschaft. Das Wort der Gnade und der Vergebung.

Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; siehe, da ist Gott der HERR!

Und so steht ganz am Ende all der tröstenden Worte eine Zusage. Freuet euch, denn Gott kommt gewaltig! Freuet euch, denn der gute Hirte ist schon nahe. Es geht weiter mit dem Volk. Es gibt eine Zukunft. Gott wird die Welt erlösen und vollenden. Er wird heilmachen, was krank und elend ist.

Und heute hören wir diese Stimmen – wir, Christen im Advent. Wir hören sie mitten in unserem Leben. Wir hören sie als Worte Gottes in der Trostbedürftigkeit unserer Welt. Da, wo wir uns fragen: Wo bleibt Gott denn? Da, wo wir leben mit dieser Wüste vor unseren Augen. – Wüsten der Zerstörung durch Krieg, Leid und Not. Wüsten in uns, wenn das Herz trocken wird und wir selbst Mangel, Einsamkeit und Angst spüren.

Aber Gott kommt uns mit seinem Versprechen entgegen: Er ist bei uns alle Tage bis an der Welt Ende. Er bahnt uns den Weg durch die Wüste. Einen Pfad des Friedens, der Gerechtigkeit, des Erbarmens, der Liebe.

Die Liebe, die er uns geschenkt hat durch seinen Sohn Jesus Christus, unseren Retter. Verheißen seit alter Zeit. Geboren in Krippe und Stall als Mensch wie wir. Wahrer Mensch und wahrer Gott. Er hat Wege aufgezeigt zu einem guten Leben.

Nein, leicht sind sie nicht, die Wege durch unsere Welt. Und es sind noch große Berge für uns zu ebnen. Berge der Angst, die Täler der Einsamkeit, die Tiefen der unaussprechlichen Not.  Aber diese eine Zusage gilt. Gott kommt.

Was krumm ist, soll gerade werden. Was unmöglich scheint, wird machbar. Gräben werden überwindbar. Er sagt: Ich bleibe bei dir in aller Not und Bedrängnis.
Ich vergebe deine Schuld.
Sei ohne Angst!
Steh auf!
Steig auf dein Fahrrad
und fahr!

Und der Friede Gottes, der größer ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne. In Christus Jesus. Amen!