Spontanität

Ich gehöre zu den Menschen die am liebsten alles im Voraus wüssten, auch wenn mir dadurch bewusst ist, dass mir damit der spannendsten Teil des Lebens abhanden käme. Bei dieser Überlegung fällt mir immer einer meiner Lieblingswitze ein, bei dem sich ein Musiker, ein Beamter und ein Controller darüber unterhalten was die bessere Frau in einer Partnerschaft darstellt: die Ehefrau oder die Geliebte.  Wer das Ergebnis wissen will – google hilft.

Am vergangenen Donnerstag brachte ich meine Tochter ins Bett. Da wir noch Zeit hatten erzählten wir uns gegenseitig in welchen Ländern jeder schon war. Wir hatten ein neues Spiel erfunden, dass wir: „Ich bin etwo.“ nannten. Es leitet sich von dem Spiel: „ich bin etwas“ ab, bei dem der andere erfragen und erraten muss was der andere gerade ist.
Sie war ein wenig enttäuscht, dass sie nur auf fünf Länder kam. Das ich als Kind in Ihrem Alter nur in zwei Ländern (Tschechien und Ungarn) gewesen bin, ließ sie nicht gelten. Jetzt mit über vierzig ist die Liste natürlich etwas größer geworden und so blieben wir bei der Frage hängen wo denn Liechtenstein liegt. Sie dachte dem Namen nach würde das Land zum Baltikum gehören.

In der Nacht danach träumte ich, dass ich mit ihr einen Ausflug ins Allgäu machen würde und wir kurzerhand uns entschließen würden nach Liechtenstein zu fahren. Einfach um zu schauen ob es wirklich auch da ist, wo wir es vermuteten. Am nächsten Morgen berichtete ich ihr per WhatsApp, dass sich unser Gespräch in meinen Traum geschlichen hatte und wir dieses Liechtenstein besuchten. Ihre Antwort gegen 13.00 Uhr Mittag – ich trainierte gerade im Fitnessstudio – war: ich auuuuuuch! Ich beschloss etwas zu versuchen, was ich noch nie in meinem Leben gemacht habe. Einen echten Traum echt Wirklichkeit werden lassen.

Eigentlich war das Wochenende ausgeplant. Freitagnachmittag würde ich nach dem Training und dem Essen wieder ins Büro gehen und den vollen Schreibtisch abarbeiten. Abends kommt eine Freundin des Hauses zu Besuch und am nächsten Morgen wäre Gemeinderatsausflug nach Regensburg angesetzt. Gegen 16.00 Uhr kämen dann die Folgetermine des Abends. Erst eine Führung im Klostergarten für die Stadt Vilsbiburg, dann der Abschiedsgottesdienst für unseren Pfarrer in Schatzhofen und dann noch der irisch-bayerische Abend am Kloster mit Livemusik.

Der Samstagvormittag war bereits mangels Teilnahme gecancelt worden. Und der volle Schreibtisch ist auch am Sonntag oder Montag noch da. Der rennt nicht weg. Damit ergab sich ein Zeitfenster von Freitag um 16.00 Uhr bis Samstag um 16.00 Uhr. Das IPhone sagt, dass ich beim derzeitigen Verkehr über Österreich ca. 4 Stunden bis Liechtenstein brauche. In Triesenberg (FL) haben die Maristen ein Haus und in Triesen (FL) ist mein alter Bundeswehrkamerad Sebastian Kaplan und hat eine schöne Wohnung. Triesenberg war leider belegt, aber Sebastian sagte innerhalb von 20 min zu und hat von 20.00 Uhr bis zum nächsten Morgen 9.00 Uhr Zeit für uns.

„Bist du spontan?“ fragte ich meine Tochter. Sie bejahte. „Hast du heute oder morgen Vormittag was Festes vor?“ Sie darauf: „Nö, eigentlich nicht.“ Ich wieder: „Wollen wir jetzt den Traum wahr machen und nach Liechtenstein fahren?“ Sie tappste von einem Bein auf das Andere. Natürlich ist das toll und spontan und spannend. Aber eben auch aufregend und unbekannt. Man kann sich nicht vorbereiten. Was sprechen die dort für eine Sprache? Wo übernachten wir und was machen wir dort? Kurz gesagt war sie mit einem Schlag von 0 auf 100 – aufgeregt. Es brauchte noch einen kleinen Stups und wir saßen im – zum Glück vollgetankten – Auto in Richtung München. Papa-Tochter-Ausflug. Nicht nachhaltig, aber gut für die Seele.

Auf dem Weg machten wir einen kurzen Stopp bei McDonalds wo wir sonst auch immer nur auf Urlaubsreisen halt machen. Für das Feeling! So gegen 19.30 Uhr fuhren wir mit der tief stehenden Sonne auf der rechten Seite bei Lindau nach Österreich und um 20.30 Uhr machten wir ein Foto am Grenzübergang Schaanwald – Liechtenstein.

Sebastian erwartete uns schon. Nachdem wir unsere Schlafsachen hochgeräumt hatten ging es an den Rhein auf eine Kies-Sandbank. Wir ließen flache Steine über die Flussgrenze in die Schweiz hüpfen und freuten uns über den lauen Sommerabend am Fluss bei herrlichem Bergpanorama mit angeknabberten Bergkämmen, schlafenden Dinos und den Gorillaz aus dem Lied „Clint Eastwood“. Phantasie bis es dunkel wurde und die blaue Stunde auf ihre Runde ging. Für meine Tochter sehr unüblich hielt sie bei Apfelmost vom Möhl und politisierenden Gesprächen über die Vergangenheit, Gott und die Welt sehr lange auf dem schönen großen Balkon durch. Um 0.00 Uhr beendeten dann auch Sebastian und ich mit einem gemeinsamen Gebet den Abend und gingen zur guten Nacht.

Am nächsten Morgen stand der Fürstensteig auf dem Programm. Wir verabschiedeten uns und meine Tochter sagte gleich nach dem losfahren: „Der Sebastian ist sehr nett!“ Von Triesen ging es 1000 Höhenmeter mit dem Auto bis nach Gaflei. Vorbei an Triesenberg und dem Gleitschirmstartplatz, an dem ich  vor vier Jahren noch gestartet bin, bis zum Wandererparkplatz unterhalb des Fürstensteigs. Meine Wade machte mir ordentlich zu schaffen und irgendwie fehlte auch der Sauerstoff, so das ich wie eine Dampflok den Berg hochschnaufte während das junge Fräulein allerhand Interessantes am Wegrand entdeckte. Nach 30 min waren wir am Felseinstieg des Steiges und genossen kurz danach auf 1670 m (200 Höhenmeter ging es rauf) den Ausblick auf das Rheintal. Wir wären gern noch weiter, aber die Folgetermine warteten nicht. Wir nahmen uns nochmal fest in den Arm und stiegen nach einigen Fotos wieder ab.

Obligatorisch nahmen wir zwei Flaschen Rivella an der Tanke mit und konnten um 12.00 Uhr in Feldkirch (A) wieder beim Mäcki Mittagessen. Als ich am Abend zu Hause saß und über die vergangenen dreißig Stunden nachdachte kam es mir vor, als wären es drei Tage gewesen. Ich staune über mich selbst und darüber wie unkompliziert Spontanität im richtigen Moment sein kann.

Die Werke des Herrn sind groß zum Staunen für alle! (Psalm 111, 2)

Dieser Spruch steht am Eingang des Fürstensteigs nach ein paar Metern auf einer Tafel am Fels.