Der Bürgermeister – ein Wunschbild im Spannungsbogen

Die Kollegen der VG Velden haben auf ihrem Infoblatt eine treffende Übersicht zu den widersprechenden Erwartungen an Bürgermeister*innen veröffentlicht. Auch Dr. Uwe Brandl hat anlässlich der 100 Jahrfeier des Bayerischen Gemeindetags in Worte gefasst was den Bürgermeister/die Bürgermeisterin für die Gemeinde und die Menschen ausmacht. Ich wage zu behaupten, dass nur selten ein solches Spannungsverhältnis zwischen Ansprüchen verschiedener Interessenslagen besteht als bei diesem schönen Amt. Daher möchte ich meine Variante (auch als Rückblick für mich selbst auf die ersten schönen sechs Jahre Bürgermeister) hinzugeben.

Der Bürgermeister soll…

  • den Weg in die Ehe bereiten – auch ein zweites oder drittes Mal. Zwischen Nachbarn den Streit um Zaun, Busch, Carport und Blumen schlichten und dabei beiden Seiten allein zu ihrem Recht verhelfen – denn Recht habe ich allein, der Nachbar hat ja keine Ahnung was damals mein Urgroßvater schon für mich geregelt hat.
  • allwissend wie Wikipedia sein. Alle Verwaltungsgesetze, – verordnungen und -rechtssprechungen kennen und vor allem wissen, warum der Gesetzgeber die Grenzbebauung auf max. 9 m und nicht mehr festgelegt hat. Er soll ein Abkürzungsgenie sein und wissen was CSB, BSB, RzWAS, HQ100, ISEK, Z1-2, SAP und UVP  bedeutet und worin der jeweilige Unterschied liegt.
    Exkurs – Begriffe deren Bedeutung  ich vor meiner Bürgermeisterzeit nicht kannte: Prozesswasser, Düker, Denitrifikation, HOAi, deminimis, ex-ante, Fremdwasser, Gummibandtherorie, ILEK, Compliance, Gleitufer, Retention, Geschiebe, autochthon, Vorfluter, Regelquerschnitt, Raumkante 
  • etwas von Landwirtschaft, Trinkwasser, Straßenbau, Entwässerung, Städtebau, Betriebswirtschaft, Religion und von angewandter Psychologie verstehen. Er soll Fan von FC Bayern und ein 60er sein. In der Feuerwehr ein TSF-W von einem MLF unterscheiden können und sich im Asylrecht und mit venerischen Infektionskrankheiten auskennen.
  • ein begabter und kurzweiliger Fest-, Trauer- und Grußwortredner, Sportler, Musiker und Witzeerzähler sein.
  • allgegenwärtig die Bilokation beherrschen (an zwei Orten gleichzeitig sein). Er darf niemals krank werden und nie schlafen. Er muss immer im Rathaus sein und gleichzeitig auf der Baustelle. Den Fördergebern in München und Berlin auf dem Schoss sitzen und beim Unfall Erste Hilfe leisten. Sonntagmorgen sitzt er mit der ganzen Familie in der Kirche, am Nachmittag auf dem Fußballplatz und am Abend am Stammtisch. Er schließt dann zu, wenn der Letzte nach der letzten Maß Bier an ihm seinen ganzen Lebensfrust abgeladen hat.
  • immer höflich und zuvorkommend sein. Er ist immer bestens gelaunt, verträgt jeden Spaß und nimmt niemandem nicht mal die schlimmste Beleidigung übel. Er hört sich alles an, nimmt sich für alles Zeit und verspricht allen, dass es genau so wird wie sie es wünschen.
  • dafür sorgen dass Grundstückeigentümer immer etwas mehr Geld bekommen, als der Nachbar für sein Feld zuvor bekam, aber die Grundstücke nach der Baureife zum Sozialtarif als Zweit- oder Dritthaus ausschließlich von Einheimischen erworben werden können. Natürlich ohne Bauzwang, da es ja für die 9-jährige Tochter ist, wenn die später mal heiratet, damit sie nicht nach (Bäh-Ort Ihrer Wahl einsetzen) ziehen muss.
  • bei der Arbeit am Morgen der Erste und am Abend der Letzte sein. Die höchsten Spenden hergeben und das meiste Trinkgeld, vor allem wenn das Essen zu wenig war und die Bedienung unfreundlich ist. Er selbst muss bescheiden sein und am besten immer auf einen Teil der Entschädigungen verzichten.
  • jeden Einwohner und jede Einwohnerin persönlich kennen. Immer zuerst grüßen und in sechs Jahren aufholen was 60 Jahre lang verschlafen wurde.
  • kurz gesagt, Übermensch und anspruchsloser Diener in einer Person sein. Dabei ist er auch nur eine Person mit ganz normalen Bedürfnissen  – auch nach Ruhe und Frieden – auch wenn er Bürger-„Meister“ genannt wird.